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05.12.2014 06:15 | Christoph A. Pfister | 2 Kommentare | Tags: Health Professionals, Feedback, Erfolg, Brücken, Kompetenzen, Team, Kommunikation, Konflikt, Kultur

Feedback: Reflexion der Zusammenarbeit im Gebärsaal

Das Buchkapitel "Wie sage ich’s am wirksamsten? - Feedback als Brücke zwischen Health Professionals" enthält auch wahre Fallbeispiele, welche die AutorInnen hier anonym zur Diskussion stellen, damit sie und die LeserInnen daraus (interprofessionell) lernen können. Bitte beantworten Sie also die Fragen unten mit einem Kommentar. Sie können gerne auch ein weiteres Fallbeispiel beisteuern.

Gestern hat Frau Roth, eine erfahrene Hebamme, Frau K.B. bei der viel zu frühen Geburt ihres 22-wochen alten Kindes unterstützt. Das Kleine lebte noch ein paar Minuten in den Armen der Hebamme, weil Frau K.B. die Situation nicht aushielt und wild um sich fuchtelte. Auf die Bitte um Unterstützung der Hebamme trat anstelle der erwarteten 2. Hebamme 2 Minuten nach der Geburt Frau Kluge, eine junge Assistenzärztin in den Gebärsaal und erkundigte sich sofort nach dem Stand der Dinge. Nach einem kurzen Bericht erteilt sie der Hebamme die Anweisung sofort Oxytocin zu spritzen, damit sich die Gebärmutter zusammenzieht und das Risiko für eine spätere Auskratzung möglichst klein gehalten werden könne. Frau Roth hat immer noch das sterbende Frühgeborene im Arm und bittet die Assistenzärztin das Medikament selbst zu spritzen, worauf Frau Roth den Auftrag wiederholend den Gebärsaal verlässt.

Am Tag danach spricht Frau Kluge die Hebamme während einer Pause in der Hebammenstube an und fragt: Gestern habe ich Dich wohl etwas genervt. Wollen wir darüber reden?
Frau Roth gibt ihrer Einschätzung recht und weist sie darauf hin, dass ihr Hilfesignal gestern nicht die Bitte um eine fachliche Entscheidung gewesen sei, sondern dass einfach Hände gefehlt hätten, um all die Dinge zu verrichten, die anstanden: Frau K.B. wollte beruhigt werden, das zu Kleine hatte die Nähe eines Menschen zu Gute während es sich wieder von dieser Welt verabschiedete, die Nachgeburt war noch unterwegs …. Das Oxytocin stand auch auf der Liste, war aber nicht dringend.
Darauf entspinnt sich eine entnervte Diskussion über die Priorität der Medikamentengabe nach der Geburt und nach ein paar Minuten trennen sich Frau Roth und Frau Kluge. Die Meinungen sind gemacht:
Frau Kluge fühlt sich völlig unverstanden und angesichts ihrer Verantwortung als Ärztin nicht ernst genommen.

Frau Roth wurden alle Vorurteile gegenüber den ÄrztInnen bestätigt: Dies ist keine Zusammenarbeit, sondern Rechthaberei. Zugunsten der Versorgung der gebärenden Frauen in einer freundlichen Umgebung müssen solche ÄrztInnen aus dem Gebärsaal verdrängt werden.

Fragen zur Reflexion:

Welches Feedback geben Sie Frau Kluge und Frau Roth, wenn Sie diesem Gespräch zugeschaut hätten? Welches sind positive Punkte? Wie könnten die beiden ihre Ziele geschickter erreichen?

Wie würden Sie an Stelle von Frau Roth nach diesem Gespräch weiter vorgehen?

Wie würden Sie sich als Chefarzt der Geburtsklinik verhalten, wenn Frau Kluge bei einer günstigen Gelegenheit um Unterstützung bittet, weil sie sich im Gebärsaal nicht durch­setzen könne?

04.12.2014 19:17 Kommentar von Anonymous
Das Verhältnis von Hebammen und ÄrztInnen rund um die Geburt ist seit mehreren Jahrhunderten ein Thema: Die Gebärende ist keine Patientin, sie ist nur in seltenen Fällen krank und für eine normale Geburt braucht es die ÄrztInnen nicht. Die Geburtsabteilung ist aber Teil des Spitals, untersteht der Leitung eines Chefarztes/einer Chefärztin. Auch ÄrztInnen verstehen sich als GeburtshelferInnen, jedenfalls wenn sie die Facharztausbildung Gynäkologie/Geburtshilfe abgeschlossen haben.
Hebammen sind es gewohnt, grosse Verantwortung im Team mit anderen Hebammen zu übernehmen und wissen doch, dass die spontane Geburt nicht von aussen, sondern ganz allein durch die Gebärende vollbracht wird. Gleichzeitig kann jede Geburt bis zum letzten Moment zu einer tödlichen Falle für Mutter und Kind werden. Nabelschnurvorfall, Blutungen, fehlende Kontraktion der Gebärmutter nach der Geburt und vieles andere mehr lassen sich kaum voraussagen. Sie sind nicht häufig, aber es muss bei jeder Geburt damit gerechnet werden. Dafür braucht es Spitäler mit einem perfekt eingespielten Team von GynäkologInnen, AnästhesistInnen, KinderärztInnen, Ops- und Intensivstations-pflege¬fachkräften und direkt bei Frau und Kind wiederum Hebammen. Sie müssen in der Lage sein, innert Minuten unter optimalen Bedingungen einen Kaiserschnitt durchzuführen und damit Mutter und Kind zu retten.
Dies sind die Rahmenbedingungen, unter denen Hebammen und ÄrztInnen aufeinander-treffen. Kaum jemand wünscht sich dabei etwas anderes, als dass dies eine konstruktive, wertschätzende Zusammenarbeit wird – zum Wohl von Mutter, Kind, Vater und nicht zuletzt der Health Professionals selbst. Dem ist leider praktisch nirgends so und das Rezept, mit dem diese Situation zuverlässig verbessert werden kann, ist noch nicht geschrieben. Feedbacks gemäss den Ausführungen in diesem Buchkapital, würden in die richtige Richtung weisen:
Frau Kluge hat es geahnt: Frau Roth war sehr unglücklich über die unnötige Intervention, die sie als Machtdemonstration empfunden hat. Frau Kluge hätte ihre Ziele ohne weiteres erreicht, wenn sie ihre Hilfe angeboten hätte und bereit gewesen wäre, während dem Bericht „Hand anzulegen“. Wahrscheinlich hätte sie dann selbst das Oxytocin gespritzt oder hätte Frau Roth die belastende Sterbebegleitung des Frühchens abgenommen. Wie aber lernt sie solches Verhalten als „Kopfmensch“ mit brilliantem Uni-Abschluss, die eine grosse Karriere vor sich hat und irgendwann selbst Chefärztin einer grossen Klinik sein wird?
Frau Roth hat schon längst genug von den hochnäsigen ÄrztInnen, von denen monatlich neue auftauchen und sich verhalten, als hätten sie nun endlich MitarbeiterInnen, die sie von der grossen Arbeitsbelastung befreien können: Delegieren heisst das Zauberwort – Verordnen wird es in der Medizin zwischen ÄrztInnen und Pflegefachkräften genannt. Dabei wissen die jungen ÄrztInnen nicht, dass sie über keineN einzigeN MitarbeiterIn verfügen können, sondern lediglich durch Kooperation mit anderen Health Professionals zum Ziel kommen. Kooperation ist ein Geben und Nehmen – es geht viel leichter, wenn man mit Ersterem beginnt! Frau Roth hat gemerkt, dass die ÄrztInnen dafür kein Musikgehör haben und hat viel zu viel zu tun, um immer wieder von neuem Zeit in die Kompetenzentwicklung von ÄrztInnen zu stecken – dies ist auch nirgends in ihrem Pflichtenheft vorgesehen. Lieber investiert sie Zeit, dass die Geburt so lange wie möglich nicht von ÄrztInnen gestört werden kann. Sie möchte dafür Sorgen, dass auf die Hilferufe einer Hebamme jeweils eine andere Hebamme und nicht einE AssistenzärztIn erscheint.
pfister
04.12.2014 19:34 Kommentar von pfister
Welche Kompetenzentwicklungsmassnahmen könnten genützt werden?

Frau Kluge zeichnet sich in dieser Situation aus durch Stärken bei den Kompetenzen "Delegieren" und "Entscheidungsfähigkeit". Sie könnte weiterentwickeln:
a) Anpassungsfähigkeit: Ist fähig, sich in schwierigen sozialen Situationen, insbesondere im Rahmen der Arbeit von Teams, Unternehmen, Organisationen... zielorientiert einzubringen
b) Beurteilungsvermögen: Verfügt über ein breites fachlich-methodisches Wissen, um Sachverhalte und Problemsituationen einzuschätzen; ist in der Lage, seine Auffassungen anderen verständlich zu machen und sie tatkräftig zu realisieren; lässt sich durch die Praxis „belehren“ und steigert damit fortlaufend die eigene Urteilsfähigkeit

Frau Roth zeichnet sich in dieser Situation aus durch Stärken bei den Kompetenzen "Folgebewusstsein" und "Beurteilungsvermögen". Sie könnte weiterentwickeln:
a) Ergebnisorientiertes Handeln: Verfolgt und realisiert Ziele bewusst mit großer Willensstärke, Beharrlichkeit und Aktivität und gibt sich erst zufrieden, wenn klare Ergebnisse vorliegen
b) Gestaltungswille: Hat die persönliche Fähigkeit, aktiv und unter Überwindung von Widerständen und Belastungen neue Produkte, Verhältnisse, Beziehungen zu gestalten; hält auch unter komplizierten Bedingungen an Vorhaben fest
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